Testbericht Honda CBR 600RR

 

Keine Frage, sie war der absolute Star auf der Münchner Intermot im HRC- Trimm, direkt neben Rossis GP-Renner geparkt, damit auch jeder Sportfahrer mitbekommen  sollte, dass hier feinste Renntechnik für die Straße zu haben ist. Diese RR ist quasi die supersportliche Fassung der CBR 6oo F, der es weiterhin vorenthalten bleibt, den Spagat zwischen Sport und Alltag so bravourös zu meistern wie bisher. 

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Die RR will dies noch nicht einmal im Ansatz. Gut, es gibt einen Notsitz hinten und ein Staufach unterm Heck, aber dort passt wirklich nur ein U-Schloss hinein - mehr nicht! Letzteres sollte denn auch immer dabei sein, denn diese CBR dürfte 2003 zu den heiß begehrten Eisen zählen - nicht nur auf dem Schwarzmarkt. Und dies, obwohl Honda mit 1800 georderten Maschinen für Deutschland schon vorsichtig optimistisch in das Jahr gegangen ist. 

Was könnte an einer CBR 6oo eigentlich noch verbessert werden? Schließlich wurde gerade mal eben der Weltmeistertitel auf Basis der F eingefahren! Nun, die Antworten dazu wurden auf der Rennstrecke von Estoril schnell gegeben. Ein Blick unter die Plastikhaut verrät bereits, was uns im Ansatz erwartet: So kompakt baut sonst keine! Jedes Bauteil scheint wie angegossen Platz zu nehmen, jeder Millimeter ist sinnvoll ausgefüllt. Unter der Tank-Attrappe sitzen Luftfilter, Einspritzanlage und sogar ein Teil vom Tank, der hoch kant zwischen den Oberzügen des Rahmens wirklich zentral am Schwerpunkt platziert ist, wie beim GP-Renner. Der Rahmen selbst setzt sich aus mehreren Hohlprofil-Aluminium-Gussteilen zusammen und ist insbesondere im Lenkkopfbereich extrem steif ausgeführt. Nach hinten schließt sich ein angeschraubtes Rahmenheck (ebenfalls gegossen!) an, das unter anderem die kunstvoll verlegte Auspuffanlage aufnimmt. 

Der Motor baut durch die Verlagerung der Lichtmaschine jetzt noch schmaler, und das Getriebe wanderte eine Etage höher, was wiederum die Baulänge des Motors verkürzt, die Integration in den Rahmen optimiert und den Einbau einer längeren Hinterradschwinge zulässt. 

Wir biegen auf die Start-Ziel Gerade und gewöhnen uns erst einmal aneinander. Die Sitzposition ist im Vergleich zur F extremer: Hoher Hintern trifft auf tiefe Stummel. Der Druck auf die Handgelenke hat minimal zugenommen, und der Oberkörper ist näher als je zuvor am Lenker. Es ist fühlbar, dass die RR jetzt mehr Last vorn trägt, gleichzeitig aber auch eine verbesserte Kontrolle über das Vorderrad vermittelt. Man spürt das Rad quasi zwischen den Griffgummis und steuert bereits die ersten Bergab-Passagen so punktgenau an, als ob die RR genau wüsste, wo es langgeht. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht und vertraue auf meine Erfahrung. 

Erst mal den Motor kräftig ausquetschen, ist ja »nur« eine Sechshunderter, und die brauchen viel Drehzahl. Diese hier nicht! Der Vierzylinder hängt nicht nur teuflisch gut am Gas, er gönnt sich selbst auch keinerlei Atempause. Im mittleren Drehzahlbereich, dort wo sich andere gern mal einen Durchhänger leisten, wirkt er stets kraftvoll. Und nach oben raus scheint der Einspritzer förmlich zu explodieren. 

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Auf jeden Fall bin ich viel zu schnell für die nächste Links und muss abrupt auf die beiden Vierkolben-Festsättel im Vorderrad zurückgreifen. Aha, Honda-typische Stopper mit eher softer Belagmischung, aber gut dosierbar und bei entsprechend hoher Handkraft auch kraftvoll zu Werke gehend. Passend dazu eine steife 45er-Telegabel, die bereits im Serien-Setup den plötzlich aufkommenden Druck wohldosiert abdämpft und nicht abrupt in die Knie geht. Das Heck wird leicht, verliert aber nicht zu schnell den Kontakt zum Boden. Wer zuvor noch die Zeit hat, im leichtgängigen Sechsgang-Getriebe herunterzuschalten, wird auch nicht mit einem wild stempelndem Hinterrad konfrontiert. Das funktioniert also mit der langen Hinterradschwinge, die gegenüber der F um satte 43 Millimeter verlängert wurde. 

Die anschließenden, zum Teil recht wilden Rechts-Links-Kombinationen zeigen auch auf, dass die RR nicht nur auf Stabilität getrimmt wurde. Sie fällt zwar nicht so leichtfüßig wie die F in Schräglage, aber sie ist nah dran und vor allen Dingen viel exakter in der Linienwahl. Korrekturen sind dabei in der Regel nicht nötig und wenn, dann reicht meist schon ein kleiner Körperimpuls aus, um die Sache wieder zu bereinigen. Wer sich spät in die Kurven hineinbremsen will, erhält mit den serienmäßig montierten Michelin Pilot Sport nicht nur die passende Bodenhaftung, die CBR neigt auch kaum dazu, sich bei dieser Übung wieder aufzurichten. Vorn kommt standardmäßig ein 120/70er-Reifen, hinten ein 180/55 zum Einsatz. Besonders leichte 17-Zolll-Felgen mit nur drei Speichen runden die Sache ab. 

Zum Abschluss folgt wieder diese verdammt lange Start Ziel-Gerade. Hier rennt die CBR im fünften Gang mit 15.000 Touren knapp 260 Stundenkilometer laut Tacho. Sie ist also nicht klassentypisch kurz übersetzt, und trotzdem sind Schaltvorgänge auf diesem extrem winkeligen Kurs selten angesagt. Im Gegenteil, wer hektisch in der Schaltbox rührt, um ja keine Hundertstel zu verlieren, sieht sich oftmals mit einem schnell aufsteigenden Vorderrad oder einem ausbrechenden Hinterrad konfrontiert. Lieber die Drehzahl reduzieren und im mittleren Bereich das Gas anlupfen Die Power reicht in den meisten Fällen aus, was erstaunlich genug ist.

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Genau genommen hat sich Honda mit der neuen CBR 600 RR noch nicht einmal so extrem weit von der eigenen Firmen Philosophie entfernt, wie es auf den ersten Blick den Anschein haben könnte. Sie ist und bleibt eine CBR 600 konsequenter denn je, aber nicht außer Acht lassend, dass Sport letztendlich auch praktizierbar sein muss. Das alles inklusive Lambda-Regelung und Dreiwege-Kat, was in dieser Leistungsgesellschaft nicht immer selbstverständlich ist. Mit kalkulierten 10.240 Euro schwebt die RR nicht zu weit aus dem Dunstfeld der Konkurrenz, lässt die F (9.540 Euro) aber deutlich hinter sich. Für Sportfahrer ist sie die zarteste Versuchung, seit es eine CBR gibt. 

Text: Till Kohlmey

 

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